Mehr Haftbefehl und Tote Hosen im Unterricht – Ein Interview mit MrWissen2Go
von Jens Buchloh (Kommentare: 0)

Mit weit über 646.000 Abonnenten auf YouTube ist Mirko Drotschmann, alias MrWissen2Go, eine beliebte Anlaufstelle für viele Jugendliche und junge Erwachsene, um sich über wichtige Themen aus Politik und Geschichte zu informieren. In kurzen, unterhaltsamen Videos erklärt der Journalist einfach und verständlich aktuelle Themen. Und das mit einer sympathischen und lockeren Art, die bei Schülerinnen und Schülern gut ankommt. Viele wünschen sich von dem 32-Jährigen noch einmal Erklärungen auf eine andere Art zu Themen aus dem Unterricht, aber auch zu Sachverhalten, die sie in den Nachrichten sehen.
Warum sie sich dabei gerade an MrWissen2Go wenden, welche Tipps er für die Aufbereitung von komplexen Sachverhalten hat und wie er selbst die Schullandschaft sieht, bzw. diese verändern würde, das verrät er uns in diesem Interview.
Mirko, wie schaffst du so es, so viele Jugendliche für eigentlich recht trockene Themen wie Politik und Geschichte zu begeistern?
Mirko Drotschmann (MrWissen2Go): Das frage ich mich manchmal auch, warum sich Leute meine Videos anschauen. Ich glaube, das hat mehrere Gründe. Der Hauptgrund ist vermutlich, dass die Themen, die ich anspreche, in meinen Videos für viele junge Leute grundsätzlich interessant sind, sie aber die Informationen dazu nicht so aufbereitet bekommen, wie sie sich das wünschen. Wahrscheinlich sind ihnen die Inhalte von Tagesschau, heute-journal, Spiegel oder anderen bekannten konventionellen Medien zu kompliziert. Und dann begeben sie sich auf die Suche nach diesen Informationen – und zwar dort, wo sie sich sowieso bewegen, nämlich eben unter anderem bei YouTube. Und dort finden sie dann mich und meine Videos.
Ich versuche immer, die Themen nicht so trocken rüberzubringen, sondern Geschichten mit einer kleinen Dramaturgie zu erzählen. Sodass man beim Schauen nicht das Gefühl hat, man hört jetzt ein Hörbuch eines Schulbuchs, sondern es sollte ja eher die Leute – „unterhalten“ ist vielleicht das falsche Wort – aber sie zumindest nicht langweilen. Und vielleicht schauen sie sich auch gerade deswegen meine Videos an.
Wie kann man aus deiner Sicht Jugendliche am besten zum Lernen motivieren?
Mirko Drotschmann (MrWissen2Go): Ich glaube – und da sind wir wieder bei dem Thema von gerade eben – man muss sie interessieren für das Thema. Wenn Jugendliche eine Begeisterung im besten Fall oder zumindest ein Grundinteresse an einem Thema haben, dann ist es gar nicht so schwierig, sie dazu zu bringen, sich damit noch näher auseinander zu setzen und zu diesem Thema auch noch etwas zu lernen.

Das gelingt nicht in jedem Fach gleich gut.
Ich kann jetzt auch eher für die Fächer sprechen, in denen ich mich ein bisschen besser auskenne, zum Beispiel Geschichte oder Politik. Geschichte kann man sehr lebendig erzählen. Man muss nicht nur Jahreszahlen auswendig lernen lassen und Namen und Ortschaften, sondern kann den Stoff auch wirklich so erzählen, dass die Schülerinnen und Schüler das Miterleben können, was damals passiert ist und sich dafür auch ein stückweit begeistern.
In Politik geht es genauso. Politik ist lebendig, Politik ist aktuell. Und wenn man das richtig macht, dann gehen die Schüler vielleicht mit einer entspannteren Haltung auch ans Lernen dieser Fächer.
Du bist Meister darin, komplexe Sachverhalte simpel und verständlich zu erklären. Wie ist dein Vorgehen bei deiner Recherche und Aufbereitung der Themen?
Mirko Drotschmann (MrWissen2Go): Ich mache es eigentlich immer so, egal ob auf meinem YouTube-Kanal oder sonst bei meiner journalistischen Arbeit, wenn ich Dinge erklären soll, oder darf, dass ich mir ganz viele Sachen durchlese zu einem Thema. Ich setze mich erst einmal hin und lese und lese und lese. Dabei schreibe mir auch fast nichts dazu heraus, sondern versuche, die wichtigsten Dinge im Kopf zu behalten. Erst danach setze ich mich hin und schreibe alles auf, was in meinem Kopf geblieben ist und schreibe mir dann ein Skript. Da habe ich für mich festgestellt: Das, was hängen bleibt, ist meistens das Wichtige. Das ist die Essenz.
Natürlich schaue ich, wenn ich dann das Skript schreibe, nochmal in die Quellen und vergewissere mich, dass auch alles passt und ziehe vielleicht auch nochmal andere Quellen während des Schreibens heran. Wenn ich den Sachverhalt erstmal verstanden habe und ihn für mich im Kopf klar habe und abgespeichert habe, dann kann ich ihn gut zu Papier bringen und dann verstehen vielleicht auch andere das ein bisschen besser. Das ist einfach meine Methode, komplexe Themen verständlich hinzubekommen.
Wenn du Lehrer wärst, wie würdest du den Unterricht gestalten?
Mirko Drotschmann (MrWissen2Go): Nehmen wir einmal an, ich wäre Geschichtslehrer – was ich wirklich gerne ab und zu mal machen würde! Ich könnte mir echt super vorstellen, so eine Oberstufenklasse ab und zu in Geschichte zu unterrichten, da hätte ich auf jeden Fall viel Spaß dran. Beim Korrigieren der Klausuren dann vielleicht nicht mehr, aber beim Unterrichten sicherlich! – ich würde versuchen, den Geschichtsunterricht lebendig zu machen.

Ich würde den Schülern, wenn die Themen das hergeben, Exponate mitbringen. Ich würde mit den Schülern tatsächlich auch mal rausgehen. Geschichte kann man sich quasi überall anschauen… kommt natürlich darauf an, wo man wohnt. Aber eigentlich ist Geschichte überall sichtbar. Ich würde den Schülern einfach zeigen: Das ist zwar Vergangenheit, aber es hat viel mit unserer Gegenwart zu tun. Das kann man natürlich dann aber auch im Unterricht machen, indem man spannende Texte analysiert, indem man auch Quellenkritik macht, indem man den Schülern Quellen zeigt, die das Theoretische praktisch machen. Zum Beispiel mal eine Goebbels Rede vorspielen oder ein Video vom Kniefall von Willy Brandt zeigen. Den Schülerinnen und Schülern in Bild und Ton zeigen, wie das damals abgelaufen ist. Und vieles mehr…
Es wäre so eine Mischung, die ich da angehen würde: Also die Theorie sollte immer mit Praxis verwoben sein, vor allem sollten die Dinge möglichst lebendig sein und den Schülern sollte klar werden, dass die Vergangenheit Auswirkung auf das Heute hat.
Das war jetzt für Geschichte ganz speziell. Wenn man das allgemein auf Unterricht sieht, würde ich auch grundsätzlich versuchen, den Unterricht möglichst lebendig und offen zu gestalten, sodass die Schüler und Schülerinnen diesen auch mal mitgestalten können, dass sie Dinge auch mal selber entwickeln, Gedankengänge selber entwickeln und nicht einfach nur stur auswendig lernen! Weil pures Auswendiglernen bringt in der Regel am wenigsten.
Wie stellst du dir die Schule der Zukunft vor?
Mirko Drotschmann (MrWissen2Go): Ja das geht schon in die Richtung. Nämlich dieses offene Lernen, das auch jetzt gerade immer gerne propagiert wird. Dazu gehören zwei ganz wichtige Aspekte: Der eine Aspekt ist der inhaltliche. Da würde ich mir wünschen, dass es in der Schule der Zukunft offenere Lerngruppen gibt. Nicht mehr dieses starke, noch aus der preußischen Zeit stammende Prinzip des 45-minütigen oder 90-minütigen Unterrichts eines Fachs, das quasi durchgeprügelt wird, sondern dass alles ein bisschen flexibler, ein bisschen schwimmender ist.
Dazu gehört auch, dass die Schülerinnen und Schüler mehr nach ihren Begabungen unterrichtet werden. Dass jemand, der künstlerisch begabt ist, sich nicht bis zum Abschluss mit Mathe quälen muss oder andersherum jemand, der mathematisch begabt ist, nicht noch bis zur 12. und 13. Klasse Erörterungen schreiben muss, obwohl ihm das vielleicht sehr schwerfällt. Sondern, dass Schülerinnen und Schüler sich auf das konzentrieren können, was sie gut können und was sie später im Leben weiterbringt. Ich glaube, das motiviert sie auch mehr und sorgt dafür, dass ihnen Schule mehr Spaß macht.
Zur Schule der Zukunft gehört meiner Meinung nach, offeneres Lernen, begabungsorientierteres Lernen und moderneres Lernen grundsätzlich – was nicht unbedingt immer heißt, dass man nur digitale Medien braucht! Das will ich gar nicht als Allheilmittel sehen.
Und der zweite wichtige Aspekt ist, dass wir andere Lernräume brauchen. Wir brauchen nicht mehr diese Lernkasernen, zum Teil noch aus der preußischen Zeit stammend, oder diese typischen 60er, 70er Jahre Blocks. Wir brauchen helle Lernräume, schön eingerichtete Lernräume, in denen man sich wohlfühlt, in denen man gerne ist. Also klar, es sollte kein Wohnzimmer sein. Aber die Schulwelt ist ja ähnlich wie die Arbeitswelt: Diese typischen Büros, wie man sie kennt, mit einem Schreibtisch drin und einem Kalender an der Wand und einem Teppich, der schon 30 Jahre alt ist, das motiviert einen einfach nicht zum Arbeiten. Aber wenn es schön hell ist, wenn es modern eingerichtet ist, dann fördert das auch die Konzentration, die Aufnahmefähigkeit und die Begeisterungsfähigkeit.
Ich glaube, da kann man schon noch einiges machen. Das kostet viel Geld,
aber das sollte es uns wert sein, denn das ist die Zukunft.
Wie siehst du die Rolle des Lehrers dabei?
Mirko Drotschmann (MrWissen2Go): Ich sehe Lehrer vor allem als Moderatoren… als wissende Moderatoren. Leute, die fachliches Know-how haben und dieses Know-how weitergeben an die Schüler, aber nicht im Sinne eines Dozenten, der da vorne steht und das Wissen 1:1 einfach weitergibt und sagt: Jetzt lernt das mal auswendig! So wie das früher vor noch ein paar hundert Jahren der Professor war. Das war der, der das Buch hatte und daraus vorgelesen hat – daher kommt auch der Begriff der Vorlesung. Ich stelle mir eher vor, dass der Lehrer die wichtigen Impulse gibt und die Schüler dann selbstständig weiterarbeiten können. Dass der Lehrer moderiert und auch mal wieder eingreift, aber auch vieles laufen lässt. Und dass er auch ein Motivator ist. Jemand, der positive Impulse setzen kann. Das klingt jetzt vielleicht alles ein bisschen abstrakt, aber ich denke mal durch die Antwort, die ich davor gegeben habe, wird es hoffentlich ein bisschen konkreter, was ich damit gemeint habe.
Deine Zuschauer sind vorwiegend Schülerinnen und Schüler, die auch sehr rege deine Videos kommentieren mit dir in Austausch treten. Was stört die Schüler deiner Meinung nach am meisten an der Schule?
Mirko Drotschmann (MrWissen2Go): Es sind verschiedene Dinge. Zum Beispiel der technische Aspekt. Es gibt Schüler und Schülerinnen, die mir schreiben, wie haben hier kein WLAN an unserer Schule, wir haben keinen Beamer, wir leben hier noch im Mittelalter.
Generell gehört auch die Ausstattung von Schulen und der Zustand von Schulen oft zur Kritik, die an mich herangetragen wird. Kaputte Toiletten, verschlissene Stühle und Tische, zum Teil Feuchtigkeit an den Wänden, auch wirklich bauliche Mängel… Asbest hat mir neulich auch ein Schüler geschrieben. Also das ist ja eine Sache, die man ziemlich einfach beheben kann – könnte man meinen. Mit entsprechenden finanziellen Mittel natürlich.
Auf der anderen Seite sagen aber viele Schüler und Schülerinnen mir, dass sie dieses Auswendiglernen satthaben. Dass die Lehrer in der Schule sich nicht um das kümmern, was aktuell los ist und immer noch in der Vergangenheit leben. Es geht viel um Goethe und Schiller, aber wenig um Haftbefehl und die Toten Hosen. Obwohl das ja auch in einer gewissen Art Künstler sind, mit denen man sich im Unterricht auseinandersetzen könnte.
Ein anderer Punkt ist, dass die digitale Welt bisher kaum eine Rolle spielt. Dass die Lehrer oft eher Angst davor haben, als dass sie diese als Chance sehen.
Viele sagen mir auch, dass sie mit dem frühen Aufstehen nicht zurechtkommen, was ich verstehen kann. Es gibt nun mal Eulen und Lerchen. Ich gehöre zu den Lerchen, aber ich kann es verstehen, wenn Leute sagen, ich bin einfach morgens um 8 Uhr noch nicht aufnahme- und leistungsfähig. Ich hätte gerne später Unterricht.
Das waren jetzt nur negative Punkte. Natürlich gibt's auch immer viel Lob. Gerade für Lehrer – und das ist mir auch wichtig an der Stelle zu sagen! Auch wenn es jetzt vielleicht so klang, als wenn ich alles, was Lehrer machen, schlecht finde. Das ist überhaupt nicht so. Ich habe großen Respekt vor dem Lehrberuf. Und auch großen Respekt vor dem, was Lehrerinnen und Lehrer heutzutage leisten müssen: Wenn ständig Eltern sie per E-Mail anschreiben oder sogar in der Freizeit zu Hause oder auf dem Handy anrufen.
Ich glaube, dass ein Großteil der Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland einen sehr guten Job macht.
Bei den Verbesserungen müsste man vor allem in der Lehrerausbildung ansetzen. Das zeigen mir auch wieder die Antworten der Schüler.
Stichpunkt: Arbeitswelt 4.0. Welche Skills sind deiner Meinung nach für die Arbeitswelt von morgen wichtig?
Mirko Drotschmann (MrWissen2Go): Auf jeden Fall inhaltliche Skills, je nach Fachbereich, das ist klar. Aber die berühmten Softskills sind natürlich auch wichtig wie Teamfähigkeit, man sollte Kritik annehmen können, man sollte aber auch Kritik abgeben können und eine gute Feedbackkultur haben. Das ist eine Sache, die gerade durch das Internet so ein bisschen verroht, und das sehe ich als eine ganz wichtige Eigenschaft für die Arbeitswelt von morgen. Denn in der Arbeitswelt wird immer mehr automatisiert, für die Prozesse benötigt man aber gerade immer wieder auch Feedbacks. Und wenn die nicht adäquat weitergegeben werden können, dann sorgt dies für Probleme im alltäglichen Arbeitsablauf.
Speziell in Bezug auf die Arbeitswelt 4.0 gehört es natürlich auch dazu, analytisch zu denken auf der einen Seite, aber auch vorausschauend zu denken und schnell Lösungen parat haben für komplexe Probleme. Ich glaube, das ist auch eine Eigenschaft, die jetzt gerade in der modernen Arbeitswelt wichtig ist und auf die man in der Schule auch gut vorbereiten kann.
ergovia setzt auf Zusammenarbeit mit Schulen, um gemeinsam agile, individuelle Bildungsimpulse zu entwickeln. Wie stehst du dazu?
Mirko Drotschmann (MrWissen2Go): Grundsätzlich muss ich zum Engagement von Unternehmen an Schulen sagen, dass ich verstehen kann, dass es da eine Skepsis nach wie vor gibt und die finde ich auch berechtigt, denn da muss man aufpassen, dass nicht Unternehmen auf diesem Wege versuchen, die Kunden von morgen zu gewinnen.

ABER – und das ist wirklich ein ganz großes, dickes, unterstrichenes ABER – wenn es der Sache dient, finde ich es okay. Wenn z.B. ergovia an Schulen geht, um dort modernen Unterricht zu fördern, ohne den Schülern danach Prospekte in die Hand zu drücken und zu sagen: guck mal, was wir alles anbieten! Und nicht danach eine Verkaufsveranstaltung oder eine Recruiting-Veranstaltungen machen, finde ich das okay. Oder wenn Google sagt, uns ist es wichtig, dass es bessere Umgangsformen im Netz gibt und deswegen bieten wir Workshops an, die von unabhängigen Medienpädagogen begleitet werden und wir bezahlen diese Medienpädagogen, finde ich das auch okay. Solange eben nicht das Produkt im Vordergrund steht und das Produkt ständig angepriesen wird.
Wenn es also der Sache dient, finde ich das vollkommen in Ordnung. Und wie gesagt, das finde ich in dem Fall auch bei ergovia. Das sind gute Ideen, die da umgesetzt werden. Und das gibt es in vielen Bereichen.
Ich finde auch wichtig, dass Schülerinnen und Schüler früh an die Arbeitswelt herangeführt werden – das ist eine Möglichkeit. Eine andere Möglichkeit ist es, dass sie aus den Schulen rausgehen und mehr Praktika machen. Warum eigentlich nur ein Praktikum? Warum eigentlich nur ein bis zwei Wochen? Warum nicht mehrere Praktika und warum nicht mal einen ganzen Monat? Das finde ich sehr wichtig. Man müsste dann die Lehrpläne entsprechend entschlacken, aber das würde sich definitiv lohnen, glaube ich. Und in diesem Fall könnte man natürlich auch mit der Wirtschaft kooperieren.